Darina möchte sich seit neustem gerne selber die Socken und Schuhe anziehen. Sie übt es mit einem unglaublichen Eifer. Immer öfter schafft sie es, sich die Socken anzuziehen. Meist bittet sie spätestens bei den Schuhen und nach minutenlangem Üben dann doch um Hilfe.
Elina hilft mir beim Vorbereiten vom Abendessen. Von einer Minute auf die andere schweift sie ab und entwickelt ihr eigenes Projekt.
Sie holt sich was sie braucht auf den Boden – Töpfe, Kellen, Besteck – und kocht dort für eine ganze Gesellschaft ein ganz besonderes Essen.
Ich liebe diese Aufbruchsenergie unserer Kinder. Das Leben scheint mir so konzentriert zu sein in ihnen. Die Kinder tauchen völlig ab in ihr ganz persönliches Projekt. Sie üben, erweitern ihre Grenzen, entdecken Neues und sich selbst.
Oft nutze ich diese Minuten auch gerne für meine eigenen Projekte. Während Elina die Tafel für ihre Gäste vorbereitet, schreibe ich eine E-Mail oder notiere schon mal die Einkaufssachen für den nächsten Tag.
Wenn sie dann wieder auftaucht aus dem Spiel, auf mich zukommt und mich von einer Sekunde auf die andere ganz dringend braucht, gilt es für mich innerlich schnell umzuschalten und wieder ganz für mein Kind da zu sein. Das empfinde ich je nach Tagesverfassung als eine echte Herausforderung!
Ich entdecke gerade, dass es einfacher ist, wenn ich mich innerlich mindestens schon darauf vorbereite. Noch besser geht’s mir, wenn ich meine Arbeit rechtzeitig unterbreche, wenn ich spüre, dass das kleine Abenteuer von meinem Kind bald zu Ende ist. Wenn ich nämlich ganz ehrlich bin mit mir selber, weiß ich genau, wann sich mein Kind innerlich wieder aufmacht in Richtung Mama.
Es ist dann so verlockend und naheliegend zu denken (und auch zu sagen), dass ich mich jetzt nicht unterbrechen lassen will. „Ich komme gleich!“ bedeutet in diesem Fall: „Ich will eigentlich noch nicht gestört werden!“ Weil das Kind in diesem Moment aber ein echtes Bedürfnis nach Nähe, nach VerBINDUNG hat, wird es nicht so schnell aufgeben. Frust ist dann auf beiden Seiten vorprogrammiert. Das Kind fühlt sich abgelehnt und ich konnte meine Arbeit doch nicht in Ruhe fertig machen.
Wenn ich dem Kind rechtzeitig einen Schritt entgegengehe (oft nur innerlich), ist das für beide viel schöner und für beide Seiten erfüllend.
Seit ich – dank Neufeld – weiß, dass diese Aufbruchsenergie der Kinder aus der nährenden Bindung zu uns Erwachsenen gespeist wird, fällt mir das Wechselspiel von Nähe geben und wieder ziehen lassen viel einfacher.
Ein Kind, das sich sicher weiß und satt ist an Bindung, kann es sich im wahrsten Sinne leisten, abzuschweifen und Neues zu entdecken. Und irgendwann ist dieser Tank leer. Beim kleinen Kind sind das nur ganz wenige Augenblicke. Danach muss es wieder Papa- oder Mamaluft schnuppern. Je älter das Kind wird, je sicherer die Bindung ist, desto länger können diese eigenständigen Abenteuer dauern.
Das ist der Grund, warum ich meine Mädchen mit offenen Armen empfangen will, sobald sie mir signalisieren, dass sie mich brauchen. Sie sollen wissen und erfahren, dass der sichere Hafen IMMER da ist und spüren, dass sie es sich leisten können loszulassen, um die Welt zu entdecken.
Wenn ich diese ehrliche Einladung an meine Kinder bereithalte, erlebe ich es immer wieder, dass ich einen Blick in diesen Zauber der kindlichen Phantasiewelt werfen darf. Ich darf dann an der aktuellsten Entdeckung oder der aufregenden Phantasiegeschichte als Vertrauensperson teilhaben. Ein wirklich guter Grund, meine Arbeit zu unterbrechen!
Zu welchen Ufern brechen eure Kinder auf, wenn sie sich so richtig wohl und bindungssatt fühlen? Wie geht ihr damit um, gefühlt ständig in eurer Arbeit und euren Gedanken unterbrochen zu werden?
Ich freue mich, von euch zu lesen!